Ich
lausche ihren Worten.
Sie ziehen sich wie
Spinnenfäden durch meine Gedanken und treiben dort ihr Unwesen. Sie
beanspruchen all meine Aufmerksamkeit, als gäbe es sonst nichts auf
der Welt, das mich kümmern sollte.
Ich höre ihr zu und hänge
wie ein Süchtiger an ihren Lippen; verfolge gespannt jede ihrer
Bewegungen und sauge sie in mir auf, obwohl ich weiß, dass ich sie
nun nie mehr aus meinem Kopf bekommen werde. Im Moment stört mich
das nicht; in diesem Moment ist mir alles scheißegal, solange ich
bei ihr bin und ihr zuhören kann.
Sie gestikuliert wild mit
ihren Armen und in ihre Augen tritt ein Ausdruck der Freude. Was sie
sagt, weiß ich schon lange nicht mehr. Irgendetwas über die
Unterdrückung irgendwelcher Minderheiten, vielleicht redet sie auch
über Orchideen und deren Bedeutung für die Menschheit. Ich weiß es
nicht.
Ich weiß überhaupt nichts.
Ich bin nichts.
Ich genieße einfach nur den Klang ihrer Stimme.
Ihre Zigarette hält sie
elegant zwischen Zeige- und Mittelfinger und der Qualm umhüllt ihr
blasses Gesicht. Graue Bilder stehen in der Luft und verändern sich
im Sekundentakt. Rauch als Zeichen der
eigenen Unbeständigkeit. Mit einer fahrigen Bewegung wedelt
sie den Qualm beiseite, scheint gar nicht zu bemerken, welche Wirkung
sie dabei auf mich hat.
Das kleine Zimmer füllt
sich mit unseren Gedanken. Ihre ausgesprochen, meine für immer in
meinem Kopf gefangen. Sie fließen wie schmutziges Wasser um meine
Beine und erschweren mir das Leben. Gedankenwahnsinn auf höchstem
Niveau.
Ihre blassblauen Augen
fixieren einen Punkt in weiter Ferne und ein sanftes Lächeln
umspielt ihre Lippen. Lediglich die tiefen Augenringe stören dieses
Bild. Aber sie scheint glücklich zu sein.. auf ihre eigene verdrehte
Weise. Irgendwie beneide ich sie dafür.
Tief in meinen Gedanken
versunken, bemerke ich nicht, wie sie ihren Blick auf mich richtet
und mich neugierig ansieht.
„Warum erzählst du
eigentlich nie etwas über dich?“
Ich zucke gleichgültig mit
den Schultern und schiebe meine Hände tief in die Taschen meines
Pullovers. „Mein Leben ist nicht sehr spannend.“
Mit schief gelegtem Kopf
führt sie ihre Zigarette erneut an ihre Lippen und nimmt einen
tiefen Zug, ehe sie erneut zu sprechen beginnt. „Muss es doch auch
nicht. Aber ich sehe dich hier schon seit Ewigkeiten sitzen und
einfach nur in die Luft starren. Nach einer Weile habe ich das
einfach hingekommen, weißt du? Und angefangen dir etwas über mich
zu erzählen. Ich rede halt gerne, und dich scheint's nicht gestört
zu haben, also..“
Sie lässt ihren Satz
unbeendet, stößt stattdessen ein heiteres Lachen aus. „Dein Name
würde mir schon reichen.“
„Sara“, meine ich und
halte ihr mit einem scheuen Lächeln auf den Lippen meine Hand hin.
Sie ergreift sie und ihr Grinsen scheint noch eine Spur breiter zu
werden.
„Freut mich, Sara. Ich bin
Nancy.“
Sie wirft einen flüchtigen
Blick auf ihre Uhr und ihr Grinsen verblasst allmählich. „Ich muss
wieder los“, sagt sie und sieht mich entschuldigend an.
Ich nicke knapp, deute ihr
mit einem Lächeln, dass es in Ordnung ist und hebe meine Hand zum
Abschied. Sie erwidert diese Geste, ehe sie sich eine Jacke über
ihre knorrigen Schultern wirft. Ihre schmalen Finger zittern dabei
ein wenig. Sie sieht krank aus, abgenutzt; dennoch ist sie
wunderschön.
„Wir sehen uns“, sagt
sie und zwinkert mir zu.
„Bestimmt.“
Und
vielleicht lerne ich bis dahin, wie man lebt.