Freitag, 10. August 2012

Die Revolution muss warten

„Ich wollte heute eigentlich die Welt verändern, weißt du? Diesen faulenden Planeten von seinem Gestank befreien“; sage ich, lasse betreten meinen Kopf hängen und fixiere den Boden unter meinen Füßen.
„Warum machst du’s nicht?“
„Keine Ahnung.“ Ich zucke gleichgültig mit den Schultern und vergrabe meine Hände tief in den Taschen meiner Hose. Neben mir kann ich ein amüsiertes Schnauben vernehmen und als ich meinen Blick hebe, finde ich mich direkt den belustigt dreinblickenden Augen Johnnys gegenüber, seine Lippen zu einem Grinsen verzogen, in dem jedes Mal etwas göttlich kindliches liegt, das alles Schlechte der Welt für einen kurzen Augenblick vollkommen unbedeutend erscheinen lässt.
„Mensch, was in deinem Kopf vorgeht, wüsste ich gerne mal.“
Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als er das sagt und ich schüttle kaum merklich meinen Kopf, sodass mir ein paar Haarsträhnen in das Gesicht fallen.
„Wo gehen wir eigentlich hin?“
„Weiß nich’.“ Nun ist es Johnny, der unschlüssig seine Schultern hebt und sich mit strahlenden Augen seine Umgebung besieht.
„Aber du wolltest doch unbedingt raus.“ Dieser Satz klingt mehr nach einer Frage, als nach eine Feststellung und ich ziehe verwirrt meine Augenbrauen zusammen.
„Und?“
„Na… äh… keine Ahnung“, stammle ich und hebe abwehrend meine Hände. Nach einer kleinen Pause, in der ich mich ebenfalls kurz umgesehen habe, sage ich: „Ich will ein Eis.“
“Was?“
„Ich will ein Eis. Und wenn du mich schon unbedingt hier raus schleifen musstest, lädst du mich jetzt auch ein“, beschließe ich grinsend und deute auf eine kleine Eisdiele in einiger Entfernung. Johnny öffnet seinen Mund, um irgendetwas zu erwidern, schließt ihn jedoch wieder, als ich ihm meinen Verusch’s-gar-nicht-erst-ich-bekomme-eh-was-ich-will-Blick zuwerfe.
„Na, meinetwegen“, murmelt er mit einem Anflug von Resignation und schlurft die letzten Meter bis zu dem Eisladen mit hängenden Schultern. Ich folge ihm gutgelaunt und halte wenig später mein begehrtes Eis in den Händen. Grinsend blicke ich zu ihm auf und meine Mundwinkel heben sich noch ein weiteres Stück, als er gespielt genervt die Augen verdreht.
„Wie kommst du nur immer auf diesen Scheiß?“
„Musst du gerade sagen.“

Ein paar Sticheleien später sitzen wir gemeinsam auf einer Mauer und Johnny reckt sein Gesicht genüsslich der Sonne entgegen. Ich tue es ihm gleich und atme einmal tief durch, sodass mir der süßliche Frühlingsduft in die Nase steigt und mein Gehirn vollkommen vernebelt.
„Ich wollte heute eigentlich der Retter der Verdammten und Gebrochenen sein; all die Geschlagenen von ihrem Leid befreien und dieser Welt einen verdammten Tritt in den Arsch verpassen.“
“Was hält dich auf?“
Vollkommen von dieser Frage überrascht, schweige ich einige Sekunden, bevor ich leise zu einer Erklärung ansetze: „Kennst du dieses Gefühl, wenn du dir am liebsten das Hirn aus dem Kopf pusten willst, sodass all deine Gedanken an irgendeiner Wand kleben bleiben, nur damit die Stimmen endlich schweigen?“ Ich warte seine Antwort nicht ab, kann jedoch aus den Augenwinkeln erkennen, wie er unschlüssig nickt. „Es ist nicht mehr da, weißt du? Und mit ihm ist auch das dringende Verlangen nach einer Veränderung verschwunden.“

Wir schweigen eine Zeit lang, jeder in seinen eigenen Gedanken gefangen und beobachten die wenigen Menschen, die über die Straßen hetzen.
Mein Blick bleibt an einem älteren Mann hängen, der interessiert in unsere Richtung starrt, und dessen ergraute Haare wild in alle Richtungen abstehen. Als er seine runzligen Lippen zurückzieht und seine Zähne zu einem grausigen Feixen fletscht, würde ich am liebsten einen Satz nach hinten machen, kann mich jedoch noch gerade so beherrschen und zucke nur leicht zusammen.
„So tiefgründig gefällst du mir überhaupt nicht“, höre ich Johnny neben mir sagen und  brumme eine knappe Antwort, die ihn jedoch zufrieden zustellen scheint. Meine ganze Aufmerksamkeit liegt auf dem alten Mann, der immer noch mit dem Grinsen eines Verrückten in unsere Richtung starrt. Er wirkt trotz seines schlecht sitzenden Anzugs und seines hageren Gesichtes irgendwie groß und bedeutend – als würde eine schwarze Wolke seinen Körper umgeben. Böse.
„Warum starrt’n der alte Typ uns so komisch an?“, frage ich Johnny und lasse den Mann dabei nicht aus den Augen. Als Farin zu einer Antwort ansetzt wird das Grinsen des alten Herrn noch breiter und ich habe das Gefühl, er würde er mit seinen langen Fingernägeln über meinen Rücken kratzen und mir seinen stinkenden Atem in den Nacken pusten. Unheimlich der Kerl.
„Wen meinst du?“
Ich sehe ihn ungläubig an und deute unverfroren in die Richtung des Mannes. „Na, den da!“
“Das ist niemand“, meint Johnny und sieht mich skeptisch von oben herab an.
„Dann mach die Augen auf!“ In meiner Stimme schwingt kaum hörbar Unsicherheit mit, die ich nur schwer unter meiner Gereiztheit verstecken kann. Er sieht noch einmal in die Richtung, in die mein Finger deutet und zuckt entschuldigend mit den Schultern. Ich reiße genervt meine Arme in die Höhe und springe mit einem Satz von der Mauer.
„Mir reicht’s“, grummle ich und stapfe auf die Straße zu.

Als ich den ersten Fuß auf den kalten Asphalt setze wird das Grinsen des Alten noch breiter – falls das überhaupt möglich ist – und meine Laune sinkt weiter gen Null. Der Typ macht mich fertig.
Ohne meinen Blick von ihm zu nehmen, marschiere ich über die Straße. Hinter mir ruft Johnny meinen Namen und als ich mich umdrehe, um ihm nach dem Grund für sein Geschrei zu fragen, reißt mich irgendetwas von den Beinen. Es ist groß und laut und kalt, als es meinen Körper erfasst und ich habe das Gefühl, ich würde fliegen, wenn da nicht diese Schmerzen wären.

Und dann ist alles rot. Roter Asphalt, roter Dreck, rote Füße und wenig später ein roter Oberkörper, der sich in mein Sichtfeld schiebt. Er soll weggehen. Ich will die roten Staubkörner im Sonnenlicht tanzen sehen. Das Leben sickert rot und Warm aus meinem Körper. Dann wird alles Schwarz.

Ich denke, die Revolution muss warten.


Ich sehe kleine Pfefferkuchenmänner mit Augen aus strahlend weißen Schneeflocken, die mit misshandelten Barbiepuppen zu den Klängen von Kiss Wiener Walzer tanzen.

Kommt alleine, kommt gemeinsam. Lasst uns den Untergang der Welt zelebrieren. Mit Zuckerwatte und Limonade werden wir die Menschheit beobachten, wie sie langsam zu Staub zerfällt.
 
O Discordia! Ich schmecke wie die Träume verrückter Kinder.





Vom Anfang bin ich nicht allzu begeistert, aber die Geschichte liegt schon 'ne Weile hier rum - ursprünglich etwas anders geplant.. aber egal. Irgendwo auch anders veröffentlicht. Wer weiß.
Uuund: Ich habe alle meine ... Gedankenfetzen ... untergebracht, irgendwie. Ich bin richtig stolz auf mich.
Das war's auch schon wieder. Ich weiß, ich weiß - unnötig, soo unnötig, aber das ist cool, mann.

Ende. (Das ist auch cool. Gewöhn' ich mir jetzt an. Und 'cool' ist auch cool.)

Ende II

Ach, und Discordia. Irgendwas von Stephen King. Eiskalt geklaut. So cool, mann.

Ich rede zu viel. Jetzt aber, wirklich.

Ende III