Freitag, 4. Januar 2013

Hello stranger, I'm a disaster

Eddie hat sich irgendwo versteckt, wo ich ihn nicht sehen kann – irgendwo im Dunkeln dieser verrottenden Stadt, die jeden Tag ein wenig mehr stirbt. Eddie behauptet immer, sie würde sich abends ins Bett legen und, wenn sie am nächsten Morgen wieder die Augen öffne, stünde sie etwas gestorbener auf als am Tag zuvor. Ich habe nie verstanden, warum er eine Stadt wie ein lebendiges Wesen behandelt.
„Rechts, Johnny-Boy“, sagt er und unterbricht mich somit in meinem Gedankengang. Seit seinem Unfall klingt seine Stimme irgendwie kratzig. Sie erinnert mich an das Geräusch, das entsteht, wenn man mit Schmirgelpapier über eine Fensterscheibe schabt – seine Stimmbänder müssen genauso zerfurcht aussehen, wie das Glas.
„Das andere Rechts, Idiot“, schnauzt mich Eddie an und ich kann sein genervtes Aufstöhnen deutlich hören, als ich mich verwirrt in der Gegend umsehe. „Rechts, Johnny-Boy, die Hand, die du auch zum Wichsen nimmst!“
„Sag das doch nicht so laut“, flüstere ich, nachdem mir seine Worte die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben und werfe meinen Kopf von einer Seite zur anderen, um zu gucken, ob uns jemand gehört haben könnte. Als ich niemanden ausmachen kann, stapfe ich missmutig in die Richtung, in die Eddie mich geschickt hat und frage beiläufig: „Was machen wir eigentlich hier?“
„Spaß haben“, antwortet er. „Hörst du mir denn nie zu?“ Sein letzter Satz soll anklagend klingen, jedoch kann ich das Grinsen deutlich aus seiner Stimme heraushören. Eddie zieht mich immer damit auf, dass ich mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren kann und sofort das Interesse verliere, wenn etwas Anderes nach meiner Aufmerksamkeit verlangt.
„Okay“, sage ich und ignoriere seine Frage vollkommen. „Aber kannst du nicht wenigstens aus deinem Loch kommen? Ich fühl’ mich, als würde ich mit mir selbst reden.“
„Hab dich nicht so!“, zischt er und damit ist das Thema für ihn erledigt. Ich grummle ein paar Verwünschungen vor mich hin und ziehe mir meine Jacke enger um die Schultern.
Dass er ausgerechnet bei diesem Wetter auf solche beschissenen Ideen kommen muss.
Bevor weitere Flüche meine Lippen verlassen können, ertönt Eddies aufgeregte Stimme irgendwo in meiner Nähe. „Da ist es, Johnny-Boy!“ Er klingt wie ein kleines Kind an Heiligabend, das zum ersten Mal den Berg an Geschenken wirklich wahrnehmen kann und über beide Ohren strahlt. Seine Augen glitzern bestimmt genauso erregt und in seinem Lächeln lag schon damals etwas göttlich kindliches, das ihn nicht mehr länger wie einen alten Griesgram aussehen ließ.
„Hör auf zu träumen!“, sagt er und ich weiß, dass er mir am liebsten einen Klaps auf den Hinterkopf verpassen würde.
„Ist ja schon gut“, murre ich und sehe mich neugierig um. „Und was genau ist hier?“
Ich kann das Klatschen hören, als sich Eddie mit seiner Handfläche gegen die Stirn schlägt und geräuschvoll ausatmet. „Da hinten, Dummkopf. Heb deinen Kopf und mach die Augen auf!“
Ich gehorche, brauche jedoch einige Sekunden, um in dieser Dunkelheit irgendetwas zu erkennen, in denen ich Eddies unruhigen Schritt hinter mir hören kann. „Wie kann man nur so blind sein?“, murmelt er dabei.
Ich ignoriere ihn und starre weiterhin in die Nacht, bis ich den Umriss eines kleinen Häuschens ausmachen kann. Als ich näher herantrete, kann ich ein Schild erkennen, auf dem in verschnörkelter Schrift die Worte Herzlich Willkommen prangen. Ich gehe noch ein paar Schritte weiter und erhasche einen kurzen Blick auf das, was hinter dem großen Zaun liegt – verborgen hinter einer Menge Grünzeug.
„Ein Rummelplatz?“, frage ich ungläubig, bleibe jedoch nicht stehen.
„Ja“, haucht Eddie hinter mir und klingt dabei glücklicher als jemals zuvor. „Erinnerst du dich noch? Da haben wir früher immer gespielt. Deine Eltern sind immer völlig ausgerastet, wenn du dann viel zu spät und völlig verdreckt nach Hause gekommen bist, Johnny-Boy.“ Er lacht leise und auch auf mein Gesicht schleicht sich nun ein leichtes Lächeln. „Ja“, antworte ich. „War schon klasse.“

Wir bleiben einige Minuten so stehen und starren schweigend auf den stillgelegten Park, ehe Eddies Stimme diese Ruhe durchbricht. „Also, wie sieht’s aus, Johnny-Boy? Kommst du mit?“
Auf mein Zögern hin, stößt Eddie wieder genervt die Luft aus und der Kies knirscht unter seinen Sohlen, als er ungeduldig von einen Fuß auf den anderen tritt. „Was ist denn dieses Mal das Problem?“
Ich schweige und kaue unsicher auf meiner Unterlippe. Eine Angewohnheit, die Eddie schon damals immer aufgeregt hat, auch wenn ich nie verstanden habe warum. Ihn hat generell ziemlich viel aufgeregt und manchmal denke ich, wir sind nur noch befreundet, weil ich einfach nicht dazu in der Lage bin, mich zu streiten. Eddie hat immer gesagt, ich wäre ein harmoniebedürftiges, naives Kind und wäre ohne ihn vermutlich verloren. Vielleicht hat er Recht.
„Wir waren da seit deinem Unfall nicht mehr“, sage ich leise und lasse für einen kurzen Augenblick von meiner Unterlippe ab.
„Na, dann wird’s ja Zeit“, antwortet Eddie und von seiner Ungeduld ist nichts mehr zu hören. „Hopp, hopp! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“
Mit einem Nicken gebe ich mich geschlagen und marschiere auf den zugewachsenen Zaun zu. Als ich davor zum Stehen komme, rüttle ich probehalber an den Stäben und lasse danach betreten die Schultern hängen. „Is’ abgeschlossen.“
„Nein, wirklich?“, sagt Eddie sarkastisch. „Das wundert mich jetzt aber.“ Nach einer kleinen Pause, in der er erneut tief durchatmet spricht er weiter. „Wie blöd bist du eigentlich? Natürlich ist da abgeschlossen, war es doch auch damals schon. Wir gehen durch das Loch, Johnny-Boy.“ Ich nicke, auch wenn ich keine Ahnung habe, wovon er eigentlich spricht, was auch Eddie zu merken scheint, denn er versucht wieder, mich durch die Dunkelheit zu lotsen. „Rechts, Johnny-Boy. Die Hand, mit der du-“
„Ich weiß, ich weiß“, unterbreche ich ihn und spüre, wie mir erneut die Röte ins Gesicht steigt, obwohl er es noch gar nicht ausgesprochen hat. Ich höre sein kratziges Lachen hinter mir (vielleicht auch irgendwo neben mir. Bei Eddie weiß ich das nie so genau) und suche den Zaun nach dem Loch ab, von dem er gesprochen hat. Nach einigen stolpernden Schritten, finde ich es und Eddie klatscht hinter mir erfreut in die Hände. „Na bitte. Bist ja doch nicht so blöd, wie du aussiehst.“ Ich bewege mich nicht und starre gebannt auf den Boden, in dem sich unter dem Zaun eine kleine Kuhle gebildet hat.
„Warum gehst du denn nicht?“, fragt Eddie ungeduldig und schiebt ein paar Blätter zur Seite, um besser sehen zu können. Ich deute wortlos auf den Boden und ein seliges Lächeln klebt auf meinen Lippen. Eddies Blick folgt meinem Finger und er schnaubt belustigt, als er die kleinen Katzen sehen, die in diesem Loch zu schlafen scheinen.
„Schieb sie weg und mach, dass du voran kommst.“
Meine Augen weiten sich vor Schock, als ich seine Worte höre und ich schüttle heftig mein Kopf, sodass mein Nacken ein bedrohliches Knacken von sich gibt. „Das geht nicht.“
„Und warum nicht?“ Eddies Stimme hat wieder diesen genervten Unterton und ich frage mich kurz, ob das nur an mir liegt, oder ob er bei jedem anderen auch unter solchen Stimmungsschwankungen leidet.
„Die sind so klein.“
„Und?“
„Ich könnte sie kaputt machen“, murmle ich und spiele nervös mit dem Reißverschluss meiner Jacke.
„Du machst mich noch wahnsinnig, Johnny-Boy“, sagt Eddie und der Stoff seines Pullovers raschelt leise, als er sich umdreht und sich mit den Händen durch die Haare fährt. „Dann scheuch sie weg!“
Gerade als ich mich seinem Befehl beugen will, fällt ein Lichtstrahl direkt neben mir auf den Zaun und wandert direkt auf mein Gesicht zu, nachdem er dort ein paar Sekunden verharrte.
„Hey! Was machst du da?“, schallt eine tiefe Stimme durch die Nacht und der Strahl der Taschenlampe wird größer, als sich der Mann uns nähert.
„Fuck“, zischt Eddie neben mir. „Los, hau ab!“
Ich renne fast augenblicklich los, ohne groß Nachzudenken und verlasse mich einfach darauf, dass er schon wissen wird, was wir hier machen. So, wie ich mich schon immer auf ihn verlassen habe. Ich hetze mehrere Minuten durch die Stadt und erst das unangenehme Stechen in meiner Seite, veranlasst mich dazu, etwas langsamer zu werden und zu gucken, wo ich überhaupt gelandet bin. Die Schritte des Mannes sind schon nach wenigen Metern verklungen, doch auch Eddie kann ich nicht neben mir hören, sodass ich mich unsicher um mich selbst drehe und nach ihm rufe.
Seine Antwort bleibt aus und so streife ich den Rest der Nacht durch die Stadt, in der Hoffnung, dass er irgendwann wieder kommt. Seit seinem Unfall verschwindet Eddie oft, ohne ein Wort zu sagen und wenn er wiederkommt, meint er meist nur, ich könne schon alleine auf mich aufpassen. Ich wäre vielleicht wütend, wenn ich nicht so glücklich wäre, ihn wieder in meiner Nähe zu wissen.







Lang, lang ist's her. Dafür dieses Mal mit einem längeren Post. Ich denke, das gleicht sich aus.
Zu meiner Verteidigung: Ich habe mich in den letzten Tag (Wochen?) nicht an den Pc getraut. Wenn ich nur an die Tastatur gedacht hab', bin ich total kirre geworden. Ich hab's auch nie länger als ein paar Minuten ausgehalten, schreiben konnte ich daran schon gar nicht. (Jeder hat so seine Problemchen) .. Also hab' ich das Problem einfach handschriftlich gelöst und mich heute dazu überwunden, es abzutippen (Was sich bei meiner Sauklaue als eine sehr schwierige Aufgabe herausgestellt hat.)
Ansonsten? 'Ne Fortsetzung ist geplant, ich find' die beiden irgendwie klasse, nur mit dem Ende bin ich nicht wirklich zufrieden. Was soll's :D



3 Kommentare:

  1. Die Geschichte ist wirklich gut und das Ende überraschend. Ich habe noch nicht ganz herausbekommen, was denn eigentlich mit Eddie geschehen ist, aber ich gebe mich mal meinen Theorien hin :)
    Und das soll also eine Sauklaue sein, ja? Ist doch schwer in Ordnung. :D Ich weiß wovon ich spreche, ich denke da an meine eigene.

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  2. Ich finde gerade das Ende klasse! Lässt nur Vermutungen offen, so dass sich der Leser den Ausgang selbst quasi suchen kann. Echt gut!

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  3. Vielen Dank euch beiden, freut mich wirklich, dass es euch gefällt.
    Das mit Eddie hatte ich eigentlich vor, noch aufzuklären (irgendwann später, wenn mir danach ist :D)
    Danke nochmal (:

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